LAUF DER ZEIT
2020| Installation | 7m x 3,7m x 0,5m | Aluminiumtraverse, Elektromotor, Lampe, Computersteuerung, Kabel, etc
Nach einem Tag am Schreibtisch mit dem Auto ins Fitness-Center, dann mit dem Aufzug in den zweiten Stock, um sich an Geräten abzurackern und die Leistungserfolgen in eine App einzuspeisen. Unser hoch technologisierter Alltag nimmt zum Teil absurde Züge an. Wir leben in einer digitalisierten Welt, in der wir uns ein Leben ohne Gadgets, Apps und intelligenten Navigationssystemen kaum noch vorstellen können. Ohne Navi von Berlin nach München fahren? Selbst beim Spaziergang im nahen Stadtwald, bei dem der Schrittzähler nicht fehlen darf, findet man ohne die Handynavigation kaum noch nach Hause.
Da wir uns jedoch immer weniger im Freien aufhalten und auch Navigationssysteme kaum mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind, ist es höchste Zeit ein Gadget zu kreieren, das einerseits die Absurditäten dieser Entwicklung widerspiegelt und gleichzeitig Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt bietet: Ich habe eine „Sonnenlampe“ entwickelt, die die Sonne in den Innenraum holt. Diese artifizielle Sonne ist so programmiert, dass sie zeitgleich mit der echten Sonne am Morgen durch einen Dimmer langsam anfängt zu leuchten und die Morgendämmerung imitiert. Zur exakten Zeit des Sonnenaufganges macht sich die künstliche Sonne entlang einer Schiene auf den Weg von Osten nach Westen, immer dem exakten Stand der Sonne folgend, um dann zeitgleich mit dieser unterzugehen. Die Installation der Sonnenlampe hat eine Breite von ca. 7 Metern und wird auf der genauen Ost-Westachse aufgebaut.
Durch meine Reisen wurde mir bewusst, dass es auch andere Formen der Orientierung gibt. In Lateinamerika habe ich Wegbeschreibungen oft mit dem Verweis auf Himmelsrichtungen erhalten. Ich wusste jedoch nicht, wo denn der Osten sei, in dessen Richtung ich nach der zweiten Wegkreuzung gehen sollte. Als ich 2004 zu Fuß und ohne Geld in zwei Monaten von Flensburg durch ganz Deutschland nach Basel, ohne Kompass und Wanderkarte, immer Richtung Süden gewandert bin, stellte sich nach einigen Wochen mein Orientierungssinn ein. Selbst an wolkenverhangenen Tagen habe ich gewusst, wo Süden liegt. Durch diese Erfahrungen wurde mir bewusst, dass Orientierung erlernbar ist, dass sie in uns schlummert, sofern man sich viel im Freien aufhält und sich nicht auf moderne Navigationssysteme verlässt.
Durch die genaue Imitation der Sonne im Innenraum kann eine Person, die sich viel im selben Raum aufhält, ständig dem Stand der Sonne bewusst und unbewusst folgen und somit die Himmelsrichtungen auch im Innenraum verinnerlichen. Die Installation ist sowohl für den Ausstellungskontext als für den Wohnraum konzipiert und ist damit ein Objekt das zwischen Design, Konzeptkunst und modernem Gadget oszilliert. Gleichzeitig greift der „Lauf der Zeit“ die rasanten technischen Entwicklungen auf und verweist durch Übersteigerung auf ihre gesellschaftliche Relevanz.
Umsetzung: Bernhard Sting
Programmierung: Christoph Blattmacher
3D Zeichnung: Christophe Mathieu
Fotos: Josh von Staudach